Patientin: | Jimmy (papierkrümel) |
Erstdiagnose: | Verdacht auf LESEN |
Symptome: | übermäßiger Konsum von YA, Mystik, Fantasy, Jugendbücher, besondere Bilderbücher, Klassische Literatur, Thriller |
Aktenvermerk: | PATIENTIN DOKUMENTIERT SUCHTVERHALTEN |
Coming-Out: Ich habe LESEN
Gedächtnisprotokoll der Behandlung:
Minutenlang sitzen sich Jimmy und Lady Bookosa schweigend gegenüber. Schließlich hält es die Patientin nicht länger aus und ergreift das Wort:
Lady Bookosa nickt zufrieden.
1. Nun ist es raus, wie fühlst du dich?
Beflügelt … und nun auch ein wenig kafkaesk.
2. Wann und wie hast du dich mit LESEN infiziert?
Vermutlich habe ich den Erreger bereits mit der verseuchten Muttermilch eingesogen.
3. Wie geht dein persönliches Umfeld mit deiner Krankheit um und wer muss am meisten unter ihr leiden?
Mein nahes Umfeld scheint in eine gewisse Co-Abhängigkeit geschlittert zu sein, und versorgt mich ab und an mit meinem Stoff. Nur mein Lebenspartner möchte dieser sich rasch ausbreitenden Krankheit keinen Platz mehr im Wohnzimmer einräumen.
4. Stehst du viel in Kontakt mit anderen Infizierten und nutzt Selbsthilfegruppen im Internet?
Auf jeden Fall. Ohne diese anonymen Treffen würde ich heillos untergehen. Ich würde vermutlich nur noch auf eine verdreckte und unhygienische Art und Weise zum Lesen kommen .. gemeinsam schützen wir uns davor und geben uns Tipps und gute Ratschläge, wie man das krankhafte Kaufverhalten (das unbedingt mit LESEN einhergeht) in den Griff bekommt.
5. Warst du schon auf den als Buchmessen getarnten Infiziertentreffen in Frankfurt und Leipzig und wie hat es dir dort gefallen?
Wie wirkt sich meine Antwort auf den Verlauf der Sitzung aus???
Ich gestehe, dass ich in der Vergangenheit schon häufig unter dem chronischen Drang gelitten habe, mich der Anziehungskraft dieser Keimzellen hinzugeben. Wahrscheinlich hat der Virus bereits meine Gehirnwindungen befallen.
Lady Bookosa unterbricht die Sitzung und wirft einen Blick in ihre Kristallkugel. Bei der Betrachtung der Zukunft kann sie sich ein Lächeln nicht verkneifen…
6. In deinem nächsten Leben wirst du in einem Roman wiedergeboren. Irgendwelche Wünsche?
Eine belanglose Nebenrolle aus „Der Schatten des Windes“. Der Krieg ist vorbei, Spanien ist zwar zerrüttet jedoch immer noch ein tolles Land … und dann gibt es da noch den Friedhof der vergessenen Bücher!
7. Wir schreiben das Jahr 2163, die Welt liegt in Schutt und Asche. Die Menschheit wird nach dem Arche-Noah-Prinzip evakuiert. Welche zwei Autoren sollten gerettet werden?
John Green, mit dem ich meinen Frust über das Weltende verarbeiten kann, indem er mir mit seinen gefühlvollen und dennoch lebensbejahenden Romanen einen Kanal gibt, über den ich meine angestauten Emotionen hinausweinen kann.
John Boyne, der mich nach meinem erwähnten Gefühlsausbruch und verdautem Weltschmerz mit auf eine phantastische Reise nimmt, in der ich die alte, zerstörte Welt nicht mehr vor mir sehen muss, sondern mich in seinen Wortgebilden verlieren und neu entdecken kann.
8. Unglaublich, aber wahr, auch DU wirst evakuiert. Du hast in der Bevölkerungs-Tombola zwei Tickets für die Reise zum Mars gewonnen. Wen nimmst du mit und vor allem wer darf am Fenster sitzen?
Natürlich darf ICH am Fenster sitzen … so etwas sieht man nur einmal. Und falls gerade ein gewisser John hinter mir einen Sitzplatz am Fenster ergattern konnte und er zufälligerweise dieses atemberaubende Panorama, das in diesem Moment vor uns abläuft, ebenso mit gierigen Augen verfolgt wie ich es tue, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dessen nächster Roman nach meinem Empfinden der größte aller Zeiten werden wird, denn nur ich kann die bildgewaltigen Worte begreifen und so in mich aufnehmen wie kein anderer, denn nur ich habe das selbe Szenario mit angesehen wir er.
Ach ja .. und dann wohl noch meinen Mann 🙂 joa
Aber das ist Zukunftsmusik. Lady Bookosa verdeckt die Kristallkugel und blickt die Patientin ernst an.
9. Wie müsste - Stand heute - der Titel deiner Biografie lauten und welcher Schauspieler wäre die Idealbesetzung für die Verfilmung des Buchs?
„Wie sie vom Leben träumt…“ mit Hilary Swank, nicht weil sie mir ähnlich sieht, sondern weil sie mich bestimmt gut darstellen würde – im Sinne von gut=hübsch und gut=realistisch
10. Die Welt weiß nun, dass du LESEN hast. Was sollte sie sonst noch über dich wissen?
Eine hochgefährliche Risikozone, stellt jede Art von Buchhandlung dar, ob online oder physisch in der Stadt zugegen. Für mich war sie der Genickbruch und gleichzeitig der rettende Strohhalm .. ohne diese Buchhandlung wäre ich arbeitslos aber auch frei vom Lesen. Mit ihr kann ich mir meinen Lebensunterhalt leisten, aber auch meine Sucht finanzieren. Es ist ein ewiger Teufelskreis in den ich da mit so jungen Jahren, zwanzig an der Zahl, hineingeraten bin.
Lady Bookosa bedankt sich für das Gespräch und bittet die Patientin zur weiteren Behandlung in einen Nebenraum. Als Jimmy den Raum verlassen hat, schließt Lady Bookosa die Akte und donnert einen Stempel auf den Einband.
INFIZIERT - Heilung ausgeschlossen!