Patientin: | Janine (Meine Welt der Bücher) |
Erstdiagnose: | Verdacht auf LESEN |
Symptome: | übermäßiger Konsum von Romanen aller Art, vorzugsweise Krimis, Thriller und Historisches |
Aktenvermerk: | PATIENTIN DOKUMENTIERT SUCHTVERHALTEN |
Coming-out: Ich habe LESEN
Gedächtnisprotokoll der Behandlung:
Minutenlang sitzen sich Janine und Lady Bookosa schweigend gegenüber. Schließlich hält es die Patientin nicht länger aus und ergreift das Wort:
Lady Bookosa nickt zufrieden.
1. Nun ist es raus, wie fühlst du dich?
Einerseits unheimlich erleichtert, andererseits schäme ich mich nun aber auch dafür, dass LESEN, das ich schon so lange versuche zu verheimlichen, jetzt quasi offiziell bekannt ist …
2. Wann und wie hast du dich mit LESEN infiziert?
Mit etwa 6 oder 7 Jahren hat es bei mir langsam und schleichend begonnen. Die Symptome waren zu der Zeit aber noch harmlos und ich konnte gut damit umgehen bzw. ist LESEN kaum aufgefallen. Erst vor etwa 4 Jahren, im Alter von 18 Jahren, ist LESEN bei mir dann so richtig ausgebrochen und ein Verstecken vor meinem Umfeld hat sich als immer schwieriger erwiesen.
3. Wie geht dein persönliches Umfeld mit deiner Krankheit um und wer muss am meisten unter ihr leiden?
Die Reaktionen meines persönlichen Umfelds auf mein LESEN sind sehr unterschiedlich. Anfangs hat noch niemand etwas gesagt, man hat versucht, es zu ignorieren, wohl in der Hoffnung, dass das „nur so eine Phase“ wäre. Als sie aber gemerkt haben, dass es immer schlimmer mit mir wird und ich wegen meinem LESEN manchmal sogar Verabredungen sausen habe lassen, sind sie teilweise dann schon sauer geworden und haben mir vorgeworfen, meine Krankheit würde mich abschotten und zur Einzelgängerin machen. Ich selbst hätte nie behauptet, dass es schon so weit gekommen ist, ich wollte das nicht glauben, aber das ist ja auch meistens so: also dass man es als Süchtiger einfach nicht wahrhaben will.
4. Stehst du viel in Kontakt mit anderen Infizierten und nutzt Selbsthilfegruppen im Internet?
Ja! Seit meinem vollständigen Krankheitsausbruch vor 4 Jahren, benutze ich das Internet, um mit anderen Infizierten in Kontakt zu kommen.
Und was soll ich sagen …? - Seitdem ich im Austausch mit Leidensgenossen bin, mit denen ich nach Gemeinsamkeiten im Suchtverhalten suchen kann, geht es mir viel besser, einfach weil das ungute Gefühl, komplett alleine mit LESEN dazustehen, nun ein bisschen weniger stark ausgeprägt ist.
5. Warst du schon auf den als Buchmessen getarnten Infiziertentreffen in Frankfurt und Leipzig und wie hat es dir dort gefallen?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich seit Ausbruch meiner Krankheit noch auf keinem Infiziertentreffen war, aber ich überlege schon lange, einmal dort aufzutauchen, weil ich ja doch sehr neugierig bin, welche Symptome sich bei mir unter so vielen Leidensgenossen wohl zeigen werden. Aber andererseits beunruhigt mich der Gedanke, mich unter so vielen Süchtigen aufzuhalten, doch auch ein wenig, da ich vermute, dass sich das triggernd auf LESEN bzw. auf die Stoffbeschaffung auswirken könnte …
Lady Bookosa unterbricht die Sitzung und wirft einen Blick in ihre Kristallkugel. Bei der Betrachtung der Zukunft kann sie sich ein Lächeln nicht verkneifen…
6. In deinem nächsten Leben wirst du in einem Roman wiedergeboren. Irgendwelche Wünsche?
Ach, ich bin da sehr anspruchslos … Hauptsache ich bin in meinem nächsten Leben nicht in einem Roman zu finden, in dem wilde Tiere, gewalttätige/böse Menschen oder fürchterliche Klima- bzw. Naturkatastrophen die Seiten füllen.
7. Wir schreiben das Jahr 2163, die Welt liegt in Schutt und Asche. Die Menschheit wird nach dem Arche-Noah-Prinzip evakuiert. Welche zwei Autoren sollten gerettet werden?
Heilige Jungfrau … Also ich bezweifle zwar sehr stark, dass die beiden Autoren, die ich aus der heutigen Sicht in 2163 gerne retten würde, dann überhaupt noch am Leben sind, aber mal angenommen, es wäre so: dann auf alle Fälle Susanna Tamaro und Friedrich Ani.
8. Unglaublich, aber wahr, auch DU wirst evakuiert. Du hast in der Bevölkerungs-Tombola zwei Tickets für die Reise zum Mars gewonnen. Wen nimmst du mit und vor allem wer darf am Fenster sitzen?
(Oh Mann … ich will gar nicht wissen, wie ich mit 170 Jahren wohl aussehe, aber gut … Hauptsache ich lebe! *Juhu*)
Auf den Mars wollte ich schon, seitdem ich ein kleines Mädchen war, deswegen möchte ich auch gerne ein kleines Mädchen mitnehmen. Und zwar meine 7-jährige Ururururenkelin Salemaleikonita. (Grässlicher, neumodischer Name, ich weiß! Aber was soll ich machen? - Meinem Urururenkel und seiner Lebensgefährtin, diesen zwei Sturschädeln, war dieser Name einfach nicht auszureden! *seufz*)
Und weil ich so eine gutmütige Ururururoma bin, lasse ich die Kleine natürlich am Fenster sitzen. Ihr Schädel ist ja auch nicht allzu groß, da werde ich vom Weltall schon noch was sehen bekommen …
Aber das ist Zukunftsmusik. Lady Bookosa verdeckt die Kristallkugel und blickt die Patientin ernst an.
9. Wie müsste - Stand heute - der Titel deiner Biografie lauten und welcher Schauspieler wäre die Idealbesetzung für die Verfilmung des Buchs?
Time goes by so quickly
Idealbesetzung: Anne Hathaway
10. Die Welt weiß nun, dass du LESEN hast. Was sollte sie sonst noch über dich wissen?
Liebe Welt,
ich habe es nie darauf angelegt, mich mit LESEN zu infizieren, es ist einfach so passiert. Es hat mich erwischt! Und ich glaube, dass ich für den Rest meines Lebens mit LESEN leben und zurechtkommen muss und deswegen bitte ich alle Nichtinfizierten darum, ein bisschen mehr Verständnis für meine Krankheit aufzubringen und mich nicht mehr andauernd schief anzuschauen, wenn ich mir schon wieder zum x-ten mal im Monat neuen Stoff schicken lasse(n muss), oder ich beispielsweise stundenlang nicht ansprechbar bin, weil mich LESEN so sehr einnimmt.
Danke!
Lady Bookosa bedankt sich für das Gespräch und bittet die Patientin zur weiteren Behandlung in einen Nebenraum. Als diese den Raum verlassen hat, schließt Lady Bookosa die Akte und donnert einen Stempel auf den Einband.
INFIZIERT - Heilung ausgeschlossen!
Haha!
Wunderbar! Welch ein herrliches Interview das einem ein Lächeln auf die Lippen zaubert und einem zeigt, dass man nicht allein ist!
Viel mehr Menschen sollten sich outen, auch in der Öffentlichkeit!
Vielen Dank, dass du uns daran teilhaben lässt!
Liebe Grüße
Jill